Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater, und du (2016)

ICH, DEIN GROSSER ANALOGER BRUDER, SEIN VERFICKTER KATER UND DU. Foto: Thomas M. Jauk.

AGB:

(1) Alle Bewohner des im weiteren „Haus“ genannten Hauses willigen in eine Aufführung des vorliegenden Textes mit dem Titel „Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater und du“ ein.

(2) Die Bewohner bewilligen eine Aufführung des vorliegenden Textes unter der Bedingung, dass weder ihr Klarname noch ihre Adresse, ihre berufliche Tätigkeit, ihr Alter, ihr Geschlecht in solcher Art genannt wird, dass eine real existierende Person als real existierende Person erkennbar wird.

(3) Um die unter Punkt (2) eingeforderte Anonymität zu wahren, ist es der Autorin nicht gestattet Namensangaben oder andere eindeutige Hinweise zu den das zu Sprechende Sprechenden oder gar gesprochen habenden Personen zu machen.

(3) Im Verlauf des Stückes stimmen alle Bewohner der im Haus befindlichen Wohngemeinschaft einem neuen Mietvertrag zu. Die Konditionen des neuen Mietvertrages entnehmen Sie bitte dem neuen Mietvertrag.

(4) Das Bühnenbild kann dem Setting der Serie „The Big Bang Theory“ zu hundert Prozent entsprechen.

(5) Mit dem Kauf einer Eintrittskarte zu einer öffentlichen Aufführung von „Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater und du“ verpflichten sich die Zuschauer bei Verlassen des Veranstaltungsortes sämtliche während der Aufführung zur Aufführung gebrachten Inhalte vollständig zu vergessen. Die Wiedergabe des in der Aufführung Gesehenen und Gehörten ist auch in eigenen Worten strafbar.

(6) Eine gesonderte Stillschweigeklausel gilt für sämtliche Mitarbeiter des Theaters.

(7) An einigen Stellen des vorliegenden Textes wurden vor Veröffentlichung Schwärzungen vorgenommen.

(8) Beschreibungen von Gewaltanwendung welche oft unvermittelt in einem zum Verhör mutierenden Gespräch vorkommen, sind nicht als konkrete Spielanweisung gedacht.

(9) Dieses Stück beschreibt die schleichende Transformation des Alltags in eine allgemeine Kontroll-, Verhör- und Überwachungssituation.

(10) Die digitale Überwachung wird als analoge Geschichte erzählt. Die Benutzung von digitalen Geräten als Requisiten ist verboten.

(11) Um kein Scheinproblem zu behandeln, kann die Frage der realen Macht nicht ausgeschlossen werden

Interview mit Felicia Zeller

1. Der Titel Ihres neues Stücks ist ziemlich lang: "Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater und du". Wer ist "Ich"?

Laut der dem Stück vorangestellten AGB bin ich als Autorin verpflichtet die Anonymität der im Stück vorkommenden Personen zu wahren. Das betrifft insbesondere die Nichtnennung von Name, Geschlecht, Augenfarbe, Haarlänge, Gewicht, Religion, Einkommen, Statur, Körpergröße, Kleidungsstil, Beruf, Ausbildung, Geburtsdatum, Nationalität, ethnische Herkunft, Staatsangehörigkeit, Streikteilnahmen, letzter Login und Beziehungsstatus.

2. Das Stück ist eine Art Parabel auf die moderne, digitale Kommunikationsgesellschaft, in der das Individuum zum Mediensklaven und komplett durchleuchtet wird. Warum haben Sie es in einer WG angesiedelt?

"Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater und du" erzählt eine analoge Geschichte, in der ein Typ in einer Wohngemeinschaft auftaucht und sich dort festsetzt. Bei einigen Bewohnern ist er sehr beliebt, er holt sie mit dem Auto ab, er ist sehr aufmerksam, erstellt praktische Listen, hat also die Eigenschaften, die uns die digitale Welt bietet. Aber eben auch die entsprechenden Nachteile. Allmählich fängt er an Kontrolle auszuüben, er schreibt alles was gesprochen wird mit, gegenseitiges Misstrauen breitet sich aus. Als einige Bewohner wollen, dass er wieder auszieht, hat er bereits beim Vermieter den Mietvertrag zu seinen Gunsten verändert. Bewohnerkontrolleinheiten werden eingeführt. Ein Prozess der Entsolidarisierung beginnt.

3. Sie packen Humor und Gesellschaftskritik zusammen?

In meinen Stücken verschiebe ich die Realität meist durch formale Eingriffe, so dass der Zuschauer einen veränderten, vielleicht kritischen, vielleicht aber auch eher absurden Blick auf unseren Alltag bekommt. In „Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater und du“ mutieren Alltagsgespräche über zum Beispiel Putzpläne zu regelrechten Verhörsituationen, die ich zum Teil aus echten Folterberichten in diesen Alltag hineingesampelt habe.
Die Frage die das Stück stellt, ist, wie sich sich unser Sprechen und Denken verändert in dieser ständigen digitalen Kontroll- und Überwachungssituation, die gleichzeitig eine Selbstkontroll- und Selbstüberwachungssituation ist, in der wir uns wahllos freiwillig befinden.

4. Welche Rolle spielt der "verfickte Kater"?

Er ist scheinbar nur ein Haustier, das immer dicker und schwerer wird. Oder ist er ein Datenkater? Tatsächlich hat die CIA in den 60ger Jahren versucht, lebendige Katzen (mit implantierten Mikrofonen) in das sowjetische Botschaftsgebäude einzuschleusen. Operation „Accoustic Kitty“. Aber die Katzen machten einfach nicht das, was sie tun sollten.

5. Was tun Sie persönlich, um sich den Datenkraken Google & Co. zu entziehen?

Wie Marc Zuckerberg und viele andere habe ich die Kamera meines Laptops abgeklebt, Marc hat noch zusätzlich seinen Mikrofonausgang zugeklebt, ich nicht. Statt google benutze ich DuckDuckGo (die Suchmaschine die Sie nicht verfolgt). Das kann jeder sich als Standardsuchmaschine ganz einfach einrichten. DuckDuckGo sammelt und teilt keine persönlichen Informationen.

Uraufführung am 06.11.2016

Staatstheater Saarbrücken
in Koproduktion mit theater rampe, Stuttgart
Regie: Marie Bues
Ausstattung: Indra Nauck

mit Yevgenia Korolov, Barbara Behrendt,
Cino Djavid, Niko Eleftheriadis


Pressestimmen
Stuttgarter Zeitung vom 22.01.2017
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... Ein so intensives und hintergründig lustiges Stück über Macht, Manipulation und den Verlust der Privatsphäre in der neuen Kommunikationswelt hat es bislang noch nicht gegeben. ... (Wir im Saarland, 09.11.16)

... Aus dem vergnüglichen WG-Abend und einer unterhaltsamen Satire auf die Generation der digital natives, die sich von Facebook Google und What‘s App um den Finger wickeln lässt, wird aber nichts. Marie Bues inszeniert die Geschichte vom freundlichen Couch-Surfer und dessen gefräßigem Kater als düstere, kafkaeske Parabel über eine Gesellschaft, in der Individuen zu gefühlsarmen, orientierungslosen Mediensklaven degenerieren, die schließlich selbst so ferngesteuert agieren wie ihre nur künstlich intelligenten Zeitgenossen. ... (nachtkritik.de, 06.11.16)

... vor allem die von allen Beteiligten argwöhnisch beobachteten Hausordnungsaktivitäten einer Wohngemeinschaft -Einkaufsliste, Putzplan, Badbenutzungsregeln -(eignen sich) zur Darstellung eines perfekten Überwachungsregimes, das auf mehrstufiges Fremd- und Selbstbeobachten setzt. Bei Felicia Zeller entstehen daraus groteske sprachliche Spiralnebel, sozusagen hochzirkuläre Formulierungsakrobatik: „Immer wieder zitierst du wortwörtlich aus dem Gespräch, das wir vor wenigen Sekunden, aber jetzt mal ehrlich, wenn ich gewusst hätte, dass du mir das jetzt wortwörtlich vorhältst, dass ich das immer wieder hören muss, was ich da sage, hätte ich es vielleicht nicht gesagt, vielleicht ...“ Von da zum Terrorismusverdacht sind es dann nur noch ein paar Halbsätze ... (Theater heute, Januar 2017)

Süddeutsche Zeitung vom 09.11.2016
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