X-Freunde (2012)

X-Freunde (2012)

(ausgezeichnet mit dem Hermann Sudermann Preis 2013)

(Stück des Jahres 2013 in der Kritikerumfrage von Theater heute)

„Felicia Zeller schließt in ihrem Stück „X-Freunde“ die Befindlichkeiten der Kreativbranche mit den neuesten Marketing-Phrasen kurz. Bis beide Sphären so ununterscheidbar ineinander übergehen wie Selbstverwirklichung und Selbstvermarktung. (...) Zeller lässt ihre Dialoge in einer überdrehten, ständig die Anspielstationen durcheinanderwirbelnden Kunstsprache die schönsten Pirouetten drehen.“ (Peter Laudenbach in seinem Portrait im „Theater heute- Jahrbuch 2013“)

Mit „X-Freunde“ liefert Felicia Zeller den Generationsbegriff der Stunde: Generation „Beißschiene“. Arbeit und Freizeit sind endlich identisch. Neben der Nominierung zu den Mülheimer Theatertagen wurde Felicia Zeller auch mit dem erstmalig vergebenen Hermann-Sudermann-Preis geehrt: „In ihren abgehackten, wie unter Strom stehenden Sätzen sind Zellers Generationsgenossen Monologisierer unter dem Diktat der Produktion, durchgedreht im Überfluss. Immer rasender laufen sie aus dem Ruder, ohne dabei zu Karikaturen zu werden. Denn dazu bleiben ihre Verzweiflung, ihr Übereifer, ihre Selbsterhitzung allzu nachvollziehbar. Sie sind wir, auf Speed.“ (Barbara Burckhardt)

Ein Interview mit Felicia Zeller zu "X-Freunde"

Der Titel Ihres Schauspiels verspricht zunächst ein Stück über eine undefinierte Menge von Freunden, daraus kann man ableitend sagen auch ein Stück über Freundschaft. Welchen Stellenwert kann Freundschaft in einer Leistungs- und Selbstoptimierungsgesellschaft einnehmen?
 
In X-Freunde untersuche ich die Auswirkungen von Suchtverhalten auf Freundschaft und Beziehung. Wie verändert sich unser Privatraum, unsere Gefühle, wenn Privates und Berufliches nicht mehr zu trennen sind. Interessanterweise wird auch im Bereich der Freundschaft zumindest unser Vokabular bereits ökonomisiert. Statt Freundschaftspflege sagen wir Networking, unsere Liebesbeziehungen werden durch Beziehungsarbeit haltbar gemacht. Bildhauer Pilz schlägt Kapital aus dem Leid seines Freundes.

 

Ihr Stück ist zwischen Groteske, Humoreske, aber auch bitterböser Realsatire angesiedelt. Aus welcher Schreibhaltung heraus nähern Sie sich einem neuen Stoff?
 
In meinen Texten pumpe ich das Sprech- und Sprachmaterial, das in unserer täglichen Welt so herumfliegt, durch Sprachsiebe, Strukturverstärker und andere entsprechende Apparaturen.
Durch diese formalistische Sprachbehandlung von Wirklichkeitspartikeln versuche ich das Gesprochene, wie auch das Besprochene einer spielerisch-strengen Analyse zu unterziehen. Alltäglichkeit soll sich dabei in neuartige Essenzen und seltsam verzerrte Skulpturen verwandeln.

In der Rede der drei Protagonisten lagern sich verschiedene Sprechebenen übereinander, lösen einander ab. Es entsteht der Eindruck, als seien die Schauspieler in ihrem Textgehäuse gefangen. Wie sehen Sie das Verhältnis von Sprache zur dramatischen Handlung?
 
In meinen Texten geht es primär um Überlebensstrategien von Menschen, die in einem (sozialen) System festsitzen, das sie als falsch empfinden, aber dennoch verteidigen, um sich selbst zu verteidigen.
Zustände, in denen abgesehen von der Sprachbewegung nicht mehr viel Bewegung stattfindet. Zustände, in denen man denkt, man könne gar nicht handeln, sich der Welt gegenüber ohnmächtig fühlt. Eine Handlungsunfähigkeit bei gleichzeitig enormem Sprechausfluss, Ungerechtigkeitsempfinden, bei großem Innendruck.

Man kann den Text auch als moderne musikalische Komposition lesen. Welche Bedeutung hat Musik für Ihre Texte?

Der Sound der Sprache ist für mich sehr wichtig.
Bei X-Freunde habe ich jedem X-Freund zu Beginn des Schreibprozesses symptomatische Verhaltensweisen von Arbeitssucht zugeschrieben, die sich sehr unterschiedlich zeigen kann.
Diese Symptome versuche ich im Sprachgefüge der Figuren, durch die Sprachmotorik des Textes (durch die Performance der Schauspieler) im Körper des Zuschauers spürbar zu machen. Die Umsetzung stelle ich mir als soundfixierte Autorin wie ein gutes Live-Konzert vor.
Die Texte klappen sich aus. Das Drama wird zu einer Skulptur aus Sprache, die sich durch den Sprechakt entfaltet und als zusätzlicher Darsteller agiert.

Sie benutzen den der Computerwelt entlehnten Begriff des Neustarts für die Figuren Ihres Stückes: nahtlos ansetzendes Weitersprechen. Welche Bedeutung hat diese Figur für Sie? Ist es eine reine Maschinenfunktionalität, ein menschliches perpetuum mobile, ein Heilsversprechen?
 
Noch ein letztes Mal, dann wird alles anders. Ausreden, die man sich selber glauben will, momenthaft eingebildete Hoffnungsschimmer, das System, in dem man rotiert und das man bereits selbst verkörpert, doch irgendwann, zum Beispiel spätestens nach der Nachhaltigkeits-Konferenz in Hannover ... neu zu starten.

 

Für gewöhnlich werden Arbeitslose kaum mehr als Mitglieder der Erfolgsgesellschaft wahrgenommen. Was hat Sie an der Figur des Holger Holz gereizt?
 
Holger Holz ist zwar offiziell arbeitslos, definiert sein Dasein aber genau so über die Denkfiguren unserer Leistungsgesellschaft. Pathologische Fixierung auf Nicht-Arbeit ist genauso möglich wie pathologische Fixierung auf Arbeit, auf Geleistetes, Zu-Leistendes, wie auch genau so auf Nicht-Geleistetes.
Auch wird Holgers Leben zusehends vom Alltag seiner arbeitssüchtigen Ehefrau bestimmt. Ihre Termine, ihr Stress, ihre Zwanghaftigkeiten werden die seinen, er ist ein sogenannter Ko-Abhängiger, der versucht, Anne in ihrem Suchtverhalten zu unterstützen, damit sie nicht ganz abstürzt (weiterarbeiten kann), was ihn gleichzeitig aber mit in den Ruin treibt.

Ihr Stück endet mit einem makaber anmutenden Schluss. Sehen Sie noch einen Ausweg aus der Spirale immer größerer Selbstzurichtung im Namen der Markteffizienz?

Nein.

Uraufführung 12. 10. 2012
Schauspiel Frankfurt

Regie: Bettina Bruinier
Bühne / Kostüme: Justina Klimczyk
Video: Clemens Walter
Dramaturgie: Martina Grohmann

www.schauspielfrankfurt.de

Eingeladen zu den 38.Mülheimer Theatertagen 2013
www.stuecke.de

Eingeladen zu den Autorentheatertagen
am Deutschen Theater, Berlin 2013


Berliner Erstaufführung 05.04.2013
Theater unterm Dach

Regie: Stephan Thiel
Bühne: Halina Kratochwil
Assistenz: Julia Otte

mit Tilla Kratochwil, Jaron Löwenberg, Christoph Schüchner

www.berliner-zeitung.de


Österreichische Erstaufführung 23.10.2012
Schauspielhaus Graz

Regie: Judith Wille
Bühne und Kostüme: Denise Heschl
Dramaturgie: Christian Mayer

Peter Pilz: Florian Köhler, Anne Holz: Evi Kehrstephan, Holger Holz: Simon Käser

www.theater-graz.com/schauspielhaus


Übersetzungen
Spanisch von Olga Sánchez Guevara
Polnisch von Iwona Uberman
Tschechisch von Zuzana Augustová
Italienisch von Werner Waas und Lea Barletti

 


PRESSSESTIMMEN

Anne, Holger und Peter verkörpern zusammen die Extreme der heutigen Leistungsgesellschaft, in der für Alltag, Familie, Freunde, Freizeit kein Platz bleibt. Sie reden fast ununterbrochen, haben sich aber nichts mehr zu sagen, sprechen die Sätze gar nicht mehr zu Ende, der andere hört sowieso meist nicht zu. Diese glänzend ausgearbeitete Sprechpartitur ist die formale Vorgabe der Autorin Felicia Zeller.
Die deutsche Bühne

(...) kämpfen in "X Freunde" drei Freunde der Generation Beißschiene, wie die Autorin sie nennt, um ihre Lebensentwürfe. Es sind sogenannte Kreative, die sich in einem ständigen Positions- und Lebenskampf erschöpfen. Ein Gefühl der Überforderung bestimmt ihr Leben, oder, wie Peter, wenn auch folgenlos, einsieht: "Der Wahnsinn ist, dass der Wahnsinn für alle schon Normalität ist." 

Felicia Zeller betont in ihrem Vorwort "Alle Charaktere sind von Symptomen der Arbeitssucht durchdrungen". Denn alle denken, unentwegt etwas tun zu müssen, zur Selbstverwirklichung und für die Gesellschaft. So pressen Leistungslogik und Produktivitätsforderung Zellers Figuren ins Hamsterrad der Sprache und Sprüche. Schnell und unfertig die Sätze, abbrechend vor jeder klaren Aussage, obwohl und weil gerade die Kommunikation das Entscheidende in unserer Wissens- und Leistungsgesellschaft sein soll.
Deutschlandradio, Hartmut Krug

Es ist ein sprachschöner und brutaler Text, den Felicia Zeller da geschrieben hat.
Nachtkritik >>>

„Sie sind (...) das Daseinsmodell 2012. Der Unternehmer als Kreativer, der Künstler als junger Marktteilnehmer. Lebenstüchtig, durchsetzungsstark, wendig. Der finanzielle Druck wächst, der Zwang zur Selbstverwirklichung auch. Wer sich von diesen Sprachpfeilen nicht ins eigene Herz getroffen fühlt, der macht was falsch. (...) Die 1970 geborene Dramatikerin Felicia Zeller hat ein kleines, schnelles und böses Stück geschrieben, nicht aus dem Arbeitsalltag, sondern dem modernen Traum von der Arbeit als Leben.“
(Peter Michalzik in der Frankfurter Rundschau am 15.10.2012)